"Wohnen" Heft 3|2023
Die Zukunft gemeinsam gestalten
In zwei Generationen wurde auf der Basis fossiler Energiequellen ein noch nie dagewesener Wohlstand geschaffen. Um den Klimakollaps zu verhindern liegt es nun an bloss einer Generation, den Scherbenhaufen aufzuräumen. Ansonsten steht nicht nur der Verlust des geschaffenen Wohlstandes, sondern noch weitaus mehr auf dem Spiel.
Die Baubranche trägt mit 40% einen riesigen Anteil an den global ausgestossenen Treibhausgasen. Verbesserungen gab es bisher vor allem im Gebäudebetrieb. Die Messlatte legen heute Bauten, die nur noch 30% der ausgestossenen Treibhausgase im Betrieb verursachen. Zweifellos ist das eine sehr positive Entwicklung. Doch bringt uns die nicht ans Ziel. Da es dem Klima egal ist, wo und wann die Treibhausgase ausgestossen werden, führt kein Weg an der Reduktion der Emissionen in der Erstellung vorbei.
Drei einfache und wirkungsvolle Hebel liegen auf der Hand. Wenn wir bauen müssen, dann mit so wenig Materialaufwand wie möglich. Die Materialien die wir verwenden müssen sollten qualitativ hochwertig und in diesem Zusammenhang möglichst treibhausgasarm sein. Und die bereits produzierten Materialien und Gebäude sollten so lange wie möglich genutzt werden.
Blickt man durch diese Brille auf unser erstes Wohnwerk Teiggi und vergleicht es mit unserem zweiten Projekt Wohnwerk Industriestrasse, lassen sich einige Kontinuitäten erkennen. In beiden Projekten wurden Bestandsgebäude erhalten, die Wohnfläche pro Kopf unterdurchschnittlich geplant und im Betrieb auf erneuerbare Energie gesetzt.
Neben diesen Parallelen zeigen sich aber insbesondere bei den Neubauten Abweichungen. Unser zweites Projekt wird in einem 2000-Watt-Areal realisiert, das Gebäude im Holzbau erstellt, die Wohnfläche pro Kopf weiter reduziert und gänzlich auf Parkplätze für den motorisierten Individualverkehr verzichtet. Wir machen erste Ver-suche mit der Widerverwendung von Bauteilen in Nasszellen und Küchen und setzen mit dem Abbau einer rostigen, bereits heute auf dem Areal stehenden und bald saniert und als Dachloft auf den Neubau gestellten Cabane ein klares Statement.
Rückblickend auf die ersten zehn Jahre Wohnwerk lässt sich ein Wandel in unserer Strategie erkennen. In den Gründungsjahren wurde versucht, über eine hohe soziale Nachhaltigkeit, weitreichende Mitgestaltungsmöglichkeiten und die Schaffung eng verwobener Nachbarschaftsstrukturen einen Rahmen für ökologisch nachhaltige Le-bensentwürfe zu schaffen. Diese Strategie haben wir inzwischen vom Kopf auf die Füsse gestellt. Heute planen wir ein in Erstellung und Betrieb ökologisch nachhaltiges Projekt, das einen zukunftsfähigen Rahmen für eine entstehende Nachbarschaft bietet.
Eine intakte, durchmischte und lebendige Nachbarschaft bleibt für uns weiterhin der wichtigste Schlüssel für die Schaffung von Wohnraum mit hoher Lebensqualität, darin liegt unsere Kontinuität. Doch setzt die soziale Nachhaltigkeit voraus, dass sich die Nachbarschaft innerhalb eines funktionierenden Ökosystems entwickeln kann. In den vergangenen Jahren haben wir erkannt, dass eben in der Erstellung ein ganz wichtiger und bis anhin noch zu wenig in Gang gesetzter Hebel liegt, um unser Möglichstes zur Erhaltung eines intakten Ökosystems zu tun. Wir haben gelernt, dass die Verantwortung bei uns liegt, die vorgespurten Pfaden zu verlassen. Ein weiterso wie bisher darf es nicht geben. Es braucht jetzt visionäre Bauherrschaften, die Neues wagen und Planer:innen, die mutig abseits des Weges nach innovativen Lösungen suchen. Es braucht Kooperation und einen Wissensaustausch zwischen den Akteur:innen. Und es braucht einen offenen Lern- und Erfahrungstranssfer, um gemeinsam möglichst rasch neue und zukunftsfähige Pfade anzulegen.
Die Erfahrungen der vergangenen zehn Jahren geben uns die tiefe Überzeugung, dass die Genossenschaften die treibende Kraft für den nötigen Wandel sein werden. Dass wir mit unserer Arbeit, unseren Ideen und unserer Begeisterung einen Teil dieses Wandels sein können, motiviert und treibt uns an. Mit diesem Gefühl im Gepäck und einem klaren Ziel vor Augen machen wir uns auf, auch in den nächsten zehn Jahren mutige Lösungen zu finden und damit einen Beitrag für mehr lebenswerten, zukunftsfähigen und bezahlbaren, sprich für mehr gemeinnützigen Wohnraum zu leisten.